Flüssige Demokratie durch die Hintertür? Wie «IBM Watson» Politik und Gesellschaft aufmischen könnte

Politics & Society
Mittwoch, 7. Mai 2014 - 13:45 bis 14:45
stage J
Beginner
Deutsch
Vortrag

Kurzthese: 

Im Februar 2011 bezwang der IBM-Rechner «Watson» die Champions des Ratespiels Jeopardy! Die Maschine verstand natürliche Sprache, lernte unentwegt weiter und zog besonderen Nutzen aus unstrukturierten Daten. Und das alles in drei Sekunden. Drei Jahre später steht die Technik vor dem Markteintritt. Die Fähigkeit «kognitiver Rechner» würde den Politikbetrieb stärker verändern als ePetition, Twitter und Facebook zusammen. Mit Watson entstände vielleicht E-Demokratie durch die Hintertür.

Beschreibung: 

Im Februar 2011 bezwang das Computerprogramm «Watson» in einer spektakulären TV-Show die weltbesten Champions des Ratespiels Jeopardy! Vier Jahre später ruft IBM die Ära «Kognitiver Maschinen» aus und versucht, die Technik mit Investition in Milliardenhöhe zu verkaufen. Wenn man den Versprechungen glauben schenken darf, zeichnen sich kognitive Rechner durch fünf einzigartige Fähigkeiten aus:

  1. natürliche Sprache verstehen (auch die Nuancen),
  2. sehr große Datenmengen in kürzester Zeit durchforsten (auch unstrukturiertere),
  3. den Zusammenhang einer Information erkennen und Schlüsse daraus ableiten (insbesondere vorher nicht programmierte),
  4. fehlende Information im Dialog erfragen oder aus digitalen Quellen herbeischaffen (und ab diesem Zeitpunkt zu verwenden)
  5. die Resultate nachvollziehbar darstellen.

Die Analysten von Gartner Group sehen im Jahr 2017 ca. 10% aller IT-Systeme mit «Watson-ähnlichen» Eigenschaften ausgestattet. IBM plant ein Jahr später bereits Umsätze von einer Milliarde US-Dollar, innerhalb von 10 Jahren sollen jährlich 10 Milliarden US-Dollar umgesetzt werden. Im Laufe dieses Jahres soll Watson für jeden Entwickler über einen Cloud-Dienst verfügbar werden.

Die Einsatzgebiete für Watson erstrecken sich von der Krebsdiagnose über die Finanzberatung bis zur Reiseplanung. Bisher wurde aber noch kein ernsthafter Versuch unternommen, die gesellschaftliche und politische Dimension dieser Technik zu erfassen. Grob lassen sich drei archetypische Einsatzzwecke für diese Domäne ableiten. Jede könnte überraschende Konsequenzen für den Politikbetrieb nach sich ziehen.

  1. Watson könnte die Aussagen von Politikern und Regierung in Echtzeit dem «Fakten-Check» unterziehen. Damit würde sich der politische Diskurs sehr schnell thematisch verdichten und beschleunigen.
  2. Watson könnte aus der permanenten Analyse aller digitaler Medien (Blogs, Facebook, Zeitungen, Foren) ableiten, welche Themen sich als gesellschaftliches Mem abzeichnen, stabilisieren und auf die Agenda der die Tagespolitik gehoben werden sollten. Aus einer Vielzahl unstrukturierter Datenquellen extrahierte sich der jeweils aktuelle «Wählerwille». Das verschaffte der Regierung einen Zeitvorsprung, um zu reagieren und der Opposition die Chance, neue Themen aufzugreifen.
  3. Watson wäre in der Lage, die Qualität des Diskurses durch Moderation und Hilfe bei der korrekten Formulierung von Themen auf eine neue Ebene zu heben. Das würde es erleichtern, Interessengruppen oder Fraktionen zu bilden. Die Reputation von «Liquid Democracy»-Plattformen könnte steigen.

Es ist bemerkenswert, dass vermutlich keines dieser drei Szenarien eines unüberwindlichen Einsatzes von Kapital oder Entwicklungszeit bedürfte. Alle könnten von qualifizierten Kleingruppen entwickelt werden.

Damit stellen sich viele Fragen: Wer zöge den größten Nutzen aus Watson im Politikbetrieb? Welche Kompetenzen bräuchte es für Anwender, um mit den Resultaten überhaupt umgehen zu können? Und schließlich: Wie veränderte sich die Dynamik des Politikbetriebs durch eine «Supermaschine für kognitive Intelligenz»?

Watson eröffnete Chancen und brächte Risiken für den Diskurs in Politik und Gesellschaft. Über beides sollten wir uns heute Gedanken machen – bevor Watson es tut.

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